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IFS-Therapie – Innere Harmonie statt Veränderung: Wie neurodivergente Menschen von der Teilearbeit profitieren

Internal Family Systems (IFS) ist ein achtsamer Therapieansatz, der sich auf die Arbeit mit inneren Anteilen konzentriert. Anders als viele andere Methoden zielt IFS nicht darauf ab, Verhalten zu ändern oder anzupassen. Stattdessen steht das Verstehen und Akzeptieren der eigenen Innenwelt im Fokus.

Für neurodivergente Menschen, insbesondere jene mit Autismus oder ADHS, bietet IFS einen wertfreien und stärkenden Ansatz, um innere Konflikte zu lösen und sich selbst besser kennenzulernen – ohne Druck, anders sein zu müssen.

Was ist IFS?

Internal Family Systems geht davon aus, dass unsere Psyche aus verschiedenen inneren „Teilen“ besteht, die alle eine bestimmte Rolle erfüllen. Manche Anteile schützen uns, andere erinnern uns an schwierige Erlebnisse, und wieder andere möchten uns Freude bringen.

Für neurodivergente Menschen kann dieses Modell eine neue Perspektive auf das eigene Innenleben eröffnen. Statt innere Spannungen als „Problem“ zu betrachten, zeigt IFS, wie diese Anteile sinnvoll zusammenarbeiten können – ganz ohne das Ziel, neurotypischen Erwartungen zu entsprechen.

Warum IFS bei Neurodivergenz besonders hilfreich ist

Menschen mit Autismus oder ADHS erleben ihre Welt oft intensiver. Ihre inneren Anteile spiegeln dieses Erleben wider. Mit IFS können sie ihre Anteile kennenlernen, würdigen und entlasten.

Mögliche innere Anteile bei Autismus:

  • Der Maskierte: Ein Anteil (oder auch mehrere), der soziale Anpassung und Maskierung (Camouflaging) übernimmt, um nicht aufzufallen.
  • Der Rückzugswächter: Ein Teil, der bei Überforderung oder Reizüberflutung den Rückzug fordert, um Sicherheit zu schaffen. Dies kann sich auf unterschiedlichste Art und Weise äußern. Zum Beispiel verstummen, Shutdowns oder ähnliches

Mögliche innere Anteile bei AD(H)S:

  • Der Getriebene: Ein Anteil, der unaufhörlich aktiv ist und ständig neue Reize sucht.
  • Der Kritiker: Ein Teil, der sich auf eigene Fehler oder vermeintliche Versäumnisse konzentriert, geprägt durch Erfahrungen von Scham oder Zurückweisung.
  • Der Freigeist: Ein Anteil, der kreativ und spontan sein möchte, ohne sich an feste Strukturen zu halten.

Diese inneren Anteile können bei neurodivergenten Menschen oft in Konflikt miteinander stehen. Zum Beispiel, wenn der Wunsch nach Rückzug (Autismus) mit dem Bedürfnis nach Stimulation und Aktivität (AD(H)S) kollidiert.

IFS: Ein Werkzeug für innere Balance

IFS bietet neurodivergenten Menschen einen geschützten Raum, um diese Anteile zu erkennen und ihnen zuzuhören, ohne sie zu bewerten. Ziel ist es, die zugrunde liegenden Bedürfnisse zu verstehen und einen Weg zu finden, wie die Anteile harmonischer zusammenarbeiten können.

Für Autismus und AD(H)S kann IFS auf folgende Weise helfen:

  1. Keine Anpassung nötig: IFS verlangt keine äußere Veränderung oder Anpassung an neurotypische Standards.
  2. Entlastung statt Veränderung: Anteile, die durch Maskierung oder Leistungsdruck erschöpft sind, können entlastet werden, ohne dass sie verschwinden müssen.
  3. Erkennen, dass alles seinen Platz hat: Jeder Anteil ist Teil der Persönlichkeit und darf existieren, so wie er ist.
  4. Regulierung von Überstimulation: Schutzanteile, die bei Reizüberflutung in den Alarmmodus gehen, können beruhigt werden, indem ihre Ängste ernst genommen werden und auch hier Alternativen gefunden werden.
  5. Scham und Selbstkritik abbauen: Kritische Anteile, die durch gesellschaftliche Ablehnung oder Missverständnisse entstanden sind, können einen besseren Umgang lernen.
  6. Stärkung der Selbstverbindung: Der Zugang zum „Selbst“, dem Kern jeder Person, wird gefördert – ein Zustand von Ruhe, Klarheit und Verbundenheit, der unabhängig von äußeren Anforderungen ist.

Ein Fallbeispiel: Lea* und ihre Anteile

Lea, Mitte 30, ist sowohl autistisch als auch von AD(H)S betroffen. Sie beschreibt ihr Leben oft als einen ständigen Kampf zwischen „extremer Anspannung“ und „vollständigem Rückzug“.

In der IFS-Arbeit lernte sie folgende Anteile kennen:

  • Ein leistungsorientierter Anteil, der versuchte, allen Erwartungen gerecht zu werden, geprägt durch Jahre der Maskierung.
  • Ein wütender Anteil, der laut wurde, sobald sie sich überfordert fühlte. Dieser Teil wollte sie eigentlich nur schützen, fühlte sich aber oft überhört.
  • Ein kreativer Anteil, der Freude an ihren Hobbys hatte, aber durch die anderen Anteile wenig Raum bekam.

Durch die Arbeit mit diesen Teilen konnte Lea besser verstehen, warum sie sich in manchen Situationen so zerrissen fühlte. Sie lernte, den Schutz- und Leistungsanteilen mehr Pausen zu gönnen, was ihr im Alltag mehr Energie und Balance gab.

Warum IFS besonders für neurodivergente Menschen geeignet ist

Wenn Sie sich selbst in den Beschreibungen wiederfinden oder mit inneren Konflikten kämpfen, kann IFS Ihnen helfen, Ihre Innenwelt besser zu verstehen. Es geht nicht darum, Anteile loszuwerden oder zu verändern, sondern sie in eine achtsame Balance zu bringen.

IFS ist kein Standardmodell, sondern eine Einladung, sich selbst auf eine neue, wertschätzende Weise zu begegnen. Ob Sie mit Reizüberflutung, Impulsivität oder sozialen Erwartungen kämpfen – IFS gibt Ihnen die Möglichkeit, Frieden mit sich selbst zu schließen.

  • Struktur und Klarheit: Die Methode gibt einen klaren Rahmen, der besonders autistischen Menschen entgegenkommt.
  • Wertfreiheit: Jeder Anteil ist sinnvoll und wichtig und wird als solches anerkannt – das ist für viele neurodivergente Menschen heilsam, die oft das Gefühl hatten, „falsch“ zu sein.
  • Individuelle Anpassung: IFS ist flexibel und kann z. B. durch Visualisierungen oder kreative Methoden neurodivergente Bedürfnisse berücksichtigen.
  • Kein weiteres Ändern von Verhalten: IFS setzt nicht auf Verhaltenstraining oder äußere Anpassung. Es geht um das Innere – um Akzeptanz, nicht um Veränderung.

Zusammenfassung

IFS bietet neurodivergenten Menschen mit Autismus oder ADHS einen wertfreien Ansatz, sich selbst zu stärken und inneren Frieden zu finden. Es geht nicht um Anpassung oder Veränderung, sondern um das Verstehen und Akzeptieren der eigenen einzigartigen Innenwelt.

Wenn Sie neugierig sind, wie IFS Sie unterstützen kann, lohnt es sich, diese Methode auszuprobieren – egal, wo Sie gerade stehen.

* Lea ist ein Deckname. Das Einverständnis für das Teilen wurde eingeholt

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